Die Arbeit mit dem „inneren Kind“
Das innere Kind ist ein Konzept, das in vielen Therapieschulen Anwendung findet. In der Schematherapie wird es als „Kind-Modus“ bezeichnet. Gemeint ist dabei ein komplexes Fühl-Denk- und Verhaltensmuster, bei dem jemand wie ein Kind fühlt, denkt und handelt. Man kann es daran erkennen, wenn eine Person z.B. sagt, sie fühle sich „klein“ oder „ausgeliefert“, ohne dass es dafür echte Bedingungen gäbe, wie im Gefängnis oder in Kriegssituationen.
Das innere Kind existiert wirklich als ein gespeichertes inneres Muster, abgesondert vom restlichen Erwachsenen-Bewusstsein. Genau genommen existieren mehrere solcher „inneren Kinder“, nämlich zu jeder Entwicklungsstufe. Wenn die Entwicklung ohne Komplikationen verlaufen ist, dann hat sich diese psychische Schicht gut in die Gesamtpersönlichkeit integriert, so dass eine Person damit keine Probleme hat. Wenn es aber zu emotionalen Verletzungen in der Kindheit gekommen ist, dann bleiben diese im Bewusstsein gespeichert als „verletzte innere Kinder“, die sich durch unpassende, als übertrieben oder unverständlich empfundene Emotionen und Verhaltensweisen äußern. Theoretisch könnte man zehn oder mehr solcher „innerer Kinder“ mit unterschiedlichen Erfahrungen und Schemata in sich gespeichert haben, die voneinander unabhängig zum Vorschein kommen können, bei entsprechenden Auslösern. Die Psyche kann man sich vorstellen wie eine Art Zwiebel, die aus verschiedenen Schichten aufgebaut ist, von denen jede durch eine Haut von der anderen Schicht getrennt ist, trotzdem ergibt das Ganze eine einzige Pflanze.
Es kann in einer Schicht eine gute Erinnerung vorliegen, in einer anderen Schicht eine schlechte. Die jüngeren (weiter innen gelegenen) Schichten können dem Erwachsenen-Bewusstsein völlig unbekannt (d.h. unbewusst) sein und die Person hat sich nur eine Kindheit ausgedacht oder das geglaubt, was ihr erzählt worden ist. Die Wahrheit kann nur aufgedeckt werden, wenn die Person bereit ist, sich auf das damalige Erleben emotional einzulassen. Darüber reden würde nicht helfen, denn die sprachlich gespeicherte Erinnerung des Verstandes ist nur ein Bruchteil des gesamten Geschehens.
Die Arbeit mit dem inneren Kind sehr wertvoll. Wenn ich mich dem inneren jüngeren Ich freundlich und unvoreingenommen zuwende, dann können sich die damals zurückgehaltenen Emotionen befreien und gefühlt werden. Dann erscheint die Wahrheit, wie sie individuell erlebt wurde – was keine objektive Wahrheit ist und auch nicht sein soll, denn es existiert kein objektiver äußerer Beobachter. Es zählt die innere Wahrheit und sie muss gewürdigt werden, angenommen werden, gefühlt werden. Das ist erst einmal schmerzhaft. Wenn es nicht schmerzhaft wäre, dann hätte es nicht, zurück gehalten werden müssen. Sobald ich nicht mehr zurück halten muss, wird das psychische System entlastet, es findet innere Heilung von Blockaden und innerem Stress statt. Ich habe schon oft beobachten können, wie befreit und gelöst Menschen nach der Auflösung von schwierigen Erlebnissen aus der Kindheit wirken, wenn das innere Kind Trost und Hilfe gefunden hatte.
Die Arbeit mit dem verletzten Kind sollte nicht allein durchgeführt werden, sondern immer unter Anleitung von erfahrenen Therapeuten, denn man könnte im Schmerz stecken bleiben. Es gibt einfachere Formen der Arbeit mit dem inneren Kind, wo mit Fantasiebildern mit dem inneren Kind Kontakt hergestellt wird. Dabei können die Anwender schöne Erfahrungen machen, die die Selbstakzeptanz und Selbstliebe fördern, was ebenfalls wichtige Prozesse sind.